Vor 75 Jahren – Das Kriegsende in Stetten im Remstal

Vortrag von Heimatforscher Ebbe Kögel für die Erstsendung des Korona Kultur Kanas Donnerstag, 23. April 2020, live von der Yburg in Stetten

Vor fast genau 75 Jahren, am Samstag, dem 21. April 1945, wurde Stetten von der Nazidiktatur befreit. Und zwar von zwei Bataillonen der US-Armee, das 1. und das 3. Bataillon, die zur 100. Infanteriedivision der US-Armee gehörten. Sie wurde wegen ihrer Nummer 100 auch als „Century Division“ bezeichnet.

Diese Bataillone waren von Frankreich her Mitte März 1945 bei Ludwigshafen über den Rhein gekommen und kämpften sich dann über Heilbronn, Backnang und Winnenden in Richtung Unteres Remstal vor.

Einblendung Karte, Foto 001

Auf der rechten Flanke nahm das 3. Bataillon am 21. April zuerst Waiblingen ein, dann Rommelshausen. Das 1. Bataillon besetzte Beinstein, überquerte die Rems und nahm Endersbach ein. Dort waren mehrere Bögen der Eisenbahnbrücke gesprengt worden.

Beide Bataillone bewegten sich dann mit ihren Panzern Richtung Stetten.

Einblendung Foto 002 – Ein amerikanischer Panzer

Das 1. Bataillon erreichte unser Dorf um 17:15 Uhr. Vorher war von amerikanischer Artillerie und von Jagdbombern noch eine verlassene Panzerhaubitze in der Esslinger Straße und ein ausrangierter Lastwagen im Gewann Pfaffenberg beschossen worden. Die Luftaufklärung hatte das das Gerät wohl irrtümlich für eine Flak gehalten.

Das 3. Bataillon, das sich mit dem 1. Bataillon vereinigen wollte, wurde von den Hügeln südlich von Rommelshausen mit Panzerhaubitzen und Gewehren beschossen. Wer geschossen hat, wissen wir nicht. Es könnten reguläre Soldaten gewesen sein, aber auch sogenannte Werwölfe, also Jugendliche, die noch – militärisch völlig sinnlos – in den letzten Kriegswochen an der Waffe ausgebildet worden waren, um „Widerstand“ zu leisten. Denn obwohl völlig klar, dass der Krieg nicht zu gewinnen war, wurde von Hitler und auch von seinem Statthalter Murr in Stuttgart der „Kampf bis zum letzten Blutstropfen“ gefordert.

Oft waren es auch Volkssturmleute, ältere Männer, z.T. ehemalige Soldaten aus dem 1. Weltkrieg, im Volk spöttisch „Hitlerjugend Spätlese“ genannt, die ebenfalls für den sog. „Endkampf“ mobilisiert wurden. Sie hatten Panzersperren in Stetten gebaut. Die dann Gottseidank von beherzten EinwohnerInnen wieder weggeräumt wurden, so dass es bei der Besetzung von Stetten keine Kämpfe gab. Denn die Dörfer oder Städte, die sich nicht ergaben, wurden von den US-Truppen zerstört bzw. zusammengebombt.

Wenn diese Heckenschützen Glück hatten, wurden sie gefangengenommen.

Einblendung Foto 003 – Deutsche Gefangene

Andere, die weniger Glück hatten, wurden erschossen. So erging es drei versprengten Wehrmachtssoldaten, die zufällig am 21. April in Stetten waren und auf dem Kleinen Feldle von amerikanischen Soldaten erschossen wurden. Nach Augenzeugenberichten kamen sie mit erhobenen Händen aus ihren Verstecken und wurden trotzdem erschossen. Es kann aber auch sein, dass die Amis vorher beschossen worden waren.

Die Grabsteine dieser drei Männer befinden sich auf dem Alten Friedhof in Stetten.

Es waren dies:

Werner Haase, Alter unbekannt

Foto 004 Werner Haase

Johannes Möckel, 36 Jahre alt

Foto 005 Johannes Möckel

Hermann Preisser, der 2 Tage nach seinem 30. Geburtstag erschossen wurde

Foto 006 Hermann Preisser

Nach der Besetzung fanden überall Hausdurchsuchungen statt, über das Dorf wurde eine Ausgangssperre verhängt.

Dies notiert die damals 24-jährige Gretel Beurer aus der Langgaß in ihrem Kriegstagebuch

Foto 007 Kriegstagebuch Gretel Beurer

So durften die Häuser nur von 7 bis 9 und von 15 bis 17 Uhr verlassen werden. Die für Sonntag, 21. April vorgesehene Konfirmationsfeier in der evangelischen Kirche musste deshalb auf den Nachmittag verlegt werden.

Und teilweise aßen dann die Besatzungssoldaten bei ihren Hausdurchsuchungen die vorbereiteten Konfirmations-Kuchen.

Ich hatte am Anfang gesagt, dass Stetten von der US-Armee befreit wurde. Der Großteil der Bevölkerung empfand den 21. April aber nicht als „Tag der Befreiung“, sondern sprach von der „Katastrophe“ oder dem „Untergang“.

Eine Befreiung war es jedoch für die zahlreichen ZwangsarbeiterInnen aus Osteuropa und für die französischen Kriegsgefangenen, die in Stetten in der Landwirtschaft oder in den Krankenhäusern im Schloss eingesetzt waren. Da die meisten arbeitsfähigen Männer im Krieg waren, wäre ohne ihren Einsatz die Landwirtschaft schwer beeinträchtigt gewesen oder gar nicht mehr möglich gewesen. Dass unsere Weinberger den Krieg unbeschadet überstanden haben, haben wir auch mit diesen, zwangsweise nach Deutschland gebrachten Frauen und Männern aus ganz Europa zu verdanken.

Foto 008 Sowjetische Zwangsarbeiterin Maria bei der Lese

Eine Befreiung war es auch für das jüdische Ehepaar Max und Ines Krakauer. Sie waren über Jahre von der später so genannten „Pfarrhauskette“ in württembergischen Pfarrhäusern beherbergt worden, um sie so vor dem Tod in den Vernichtungslagern zu retten.

Foto 009 Max und Ines Krakauer

Die letzten zwei Kriegswochen waren die Krakauers bei der mutigen jungen Pfarrfrau Hildegard Spieth im Stettener Pfarrhaus untergebracht und wurden hier von der US-Armee gerettet.

Foto 010 Hildegard Spieth 1940

Die amerikanischen Offiziere konnten schier nicht glauben, dass es in Deutschland noch Juden gab, die überlebt hatten.

Der SWR sendet unter dem Titel „Unbekannte Helden“ am Sonntag, 3. Mai 2020 um 20.15 Uhr ein Dokudrama über Frau Spieth und die Krakauers.

Der Preis, den die Menschen für das Tausendjährige Reich – das dann nur 12 Jahre dauerte – bezahlen musste, war hoch. Die Wehrmacht hatte ganz Europa in Schutt und Asche gelegt. 60 Millionen Menschen fanden den Tod.

Aus Stetten waren 350 Männer als Soldaten im Einsatz. Davon starben 92, als vermisst gelten 62 Männer.

Foto 011 Gedenktafel Ev. Kirche

Ihre Namen befinden sich auf dieser Gedenktafel im Turm der Ev. Kirche.

Alle Stettener Familien sind da mit aufgeführt, wie sie auch heißen mögen: Konzmann, Schlegel, Beurer, Silber, Haidle, Fiesenhäuser, Hildenbrand, Medinger, Idler, Hoss, Bäder, Ehle usw. – alle sind sie mit drauf.

Foto 012 Namen Gedenktafel groß

Manchmal wurde die männliche Linie einer ganzen Familie ausgelöscht, wie Gotthilf und Ernst Reichle oder die beiden Söhne des Oberlehres Haug. Die meisten starben in den Jahren 1944/45, als der Krieg längst verloren war.

Foto 013 Die beiden Söhne der Familie Reichle, gefallen und vermisst in Russland

Und obwohl sich viele nach 1945 schworen, „Nie wieder Krieg“, wurde Deutschland bald wiederbewaffnet.

Und wird heute wieder am Hindukusch verteidigt und die Kriegstreiber (interessanterweise auch viele Kriegstreiberinnen!) sind überall wieder am Werk und wollen aufrüsten und wieder in den Krieg ziehen.

Haben wir nichts gelernt aus der Geschichte?

Wir hören nun ein Lied des Liedermachers Wolf Biermann, das er 1965 schrieb. Aktueller denn je. Wir sehen dazu Fotos vom Gefallenendenkmal auf dem Alten Friedhof in Stetten.

Soldat, Soldat

Foto 014 Gefallenendenkmal groß

Foto 015 Gefallenendenkmal Detail

Soldat Soldat in grauer Norm
Soldat Soldat in Uniform
Soldat Soldat, ihr seid so viel
Soldat Soldat, das ist kein Spiel
Soldat Soldat, ich finde nicht
Soldat Soldat, dein Angesicht
Soldaten sehn sich alle gleich
Lebendig und als Leich

Soldat Soldat, wo geht das hin
Soldat Soldat, wo ist der Sinn
Soldat Soldat, im nächsten Krieg
Soldat Soldat, gibt es kein Sieg
Soldat, Soldat, die Welt ist jung
Soldat Soldat, so jung wie du
Die Welt hat einen tiefen Sprung
Soldat, am Rand stehst du

Soldat Soldat in grauer Norm
Soldat Soldat in Uniform
Soldat Soldat, ihr seid so viel
Soldat Soldat, das ist kein Spiel
Soldat Soldat, ich finde nicht
Soldat Soldat, dein Angesicht
Soldaten sehn sich alle gleich
Lebendig und als Leich