„Schrei nach Waffen“ – Moderne KriegstreiberInnen – Artikel von Arno Luik

Gerne veröffentlichen wir einen Artikel des Journalisten Arno Luik aus dem Overton-Magazin vom 16. Februar 2024. Arno Luik war bereits zwei Mal bei der Allmende zu Gast, am 27.9.2019 (Provinzielle Lebenswege) und am 16.07.2023 (Buchvorstellung „Rauhnächte“).

Schrei nach Waffen

Nichts aus der Geschichte gelernt, aber auch gar nichts. Bei Politikern, Leitartiklern, Lobbyisten herrscht eine unbändige Lust, die Feuerkraft der Armee zu stärken. Die Vernunft ist weggewischt.

Gerade die Nachrichten gehört, im Deutschlandfunk (DLF): Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, fordert Atombomben für Europa. Roderich Kiesewetter, CDU-Kriegspolitiker, will 300 Mrd. Euro als Sondervermögen für die Bundeswehr. Irgendjemand verlangt die Senkung der Sozialabgaben; ein anderer Steuervergünstigungen für deutsche Firmen. Der FDPler Ulrich Lechte äußert Verständnis für die Offensive der israelischen Armee, Israel könne die Hamas nur besiegen, wenn die Bodenoffenisve im gesamten Gazastreifen durchgeführt werde, Verständnis auch für die Einrichtung dort von Zeltstädten: 15 Lager à 25.000 Menschen sind angedacht.

Geht es noch? Ich drücke den Ausknopf. Will nichts mehr hören von all diesem Wahnsinn, der inzwischen tägliche Normalität ist.

Ein paar Tage zuvor, ebenfalls im Deutschlandfunk, das Mittagsmagazin. Ich habe zu spät eingeschaltet, höre eine Stimme, die mehr Waffen, noch mehr Waffen für die Ukraine fordert. Ich wusste nicht, wer da interviewt wurde, die Stimme kannte ich nicht, dachte, was ist das für ein übler Kriegshetzer? Der klingt ja wie die schärfsten Kriegsfalken während des Vietnamkriegs, geiferndeifernd. War ein grüner EU-Abgeordneter, Daniel Freund.

Kriegstreiber*innen, hochsensibel gegendert – das ist wichtig

Fast überall, rund um die Uhr, die gleiche Botschaft, dieser Schrei nach mehr Waffen, noch mehr Waffen. Diese Gier nach Aufrüstung. Es scheint, Vermutung, schon seit längerer Zeit unter den regierenden Politikern und den mitregierenden Oppositionsparteien CDU/CSU eine Sprachregelung zu geben, die an den Vietnamkrieg erinnert. Unisono heißt es nun, es ist zu einem nicht hinterfragbaren Glaubensgrundsatz geworden, wenn wir dem russischen Despoten Putin in der Ukraine (diesem Hort der Freiheit, Hochburg der westlichen Werte) nachgeben, dann fallen andere Staaten, einer nach dem anderen – schließlich: WIR!!! – auch in die Hände dieses gefräßigen Imperialisten.

So hieß es auch im Vietnamkrieg: Erst fällt dieses Vietcong-Land an die Kommunisten, dann Laos, Kambodscha, Thailand. Schon damals war diese sogenannte „Dominotheorie“ grottenfalsch. Sie war eine geniale Erfindung der Kriegstreiber – Grundlage der US-Außenpolitik für viele Jahrzehnte. Der US-Präsident Dwight D. Eisenhower hatte sie im April 1954 verkündet: wie bei einer Kette von Dominosteinen würden alle Länder einer Region dem Kommunismus anheimfallen, sich vom Westen abwenden – wenn man nachgibt. Das dürfe man auf gar keinen Fall zulassen. Deswegen militärische Härte – die dann so viel Leid über so viele Länder (vor allem in Südostasien, Lateinamerika, Afrika) gebracht hat. Fatal, dass nun diese Theorie eine Wiedergeburt erlebt – zunächst mal in der Form massiver Aufrüstung. In der Form von Konfrontationsrhetorik. Dem Verzicht auf Diplomatie. Ein kollektiver Wahn.

Es tobt derzeit ein zunehmend heftigerer Kampf um die Herzen und Köpfe. Es gilt, eine kriegsskeptische Bevölkerung umzuerziehen. Und so wie es aussieht, siegen die masters of war, die Herren und Damen des Krieges, wie fast immer. Aber hochsensibel wird gegendert.

2.113.000.000.000 Dollar

Mal in aller Ruhe, die heute kaum mehr möglich ist:  Russland hat 135 Millionen Einwohner. Die EU 450 Millionen. Die USA haben 330 Millionen Einwohner. Jenseits der Emotionen, des Geraunes, ein kühler Blick auf die Wehretat-Zahlen; ich weiß, es bringt nichts, gleichwohl: 2021 haben die Staaten dieser Welt über zwei Billionen US-Dollar fürs Militär ausgegeben, eine Zahl von beeindruckender Länge: 2.113.000.000.000 Dollar.

Den größten Anteil an diesen Ausgaben (das sind Zahlen des renommierten Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI) haben die USA mit über 800 Milliarden US-Dollar, das sind 38 Prozent aller Rüstungsausgaben weltweit.

Anders ausgedrückt: Für ihre Kriegsrüstung gaben die USA 2021 etwa so viel aus wie die folgenden zehn Länder auf der Rüstungsrangliste: China verpulverte 293 Milliarden US-Dollar, Indien 76, 6 Milliarden; Großbritannien 68,4 Milliarden US-Dollar; Russland liegt auf Platz 5 mit 65, 9 Milliarden Dollar; Frankreich 56, 6 Milliarden, Deutschland 56 Milliarden Dollar.

Und da erzählen mir HofreiterScholz HabeckHöglStrack-ZimmermannMerzvonder LeyenBaerbock nonstop: Wir müssen noch mehr Geld in die Rüstung stecken!

Mal polemisch gefragt, nein, voller Verzweiflung gefragt: Geht’s noch?

Und nun die aktuellsten Zahlen in Sachen Kriegsetats – sie sind vom 2. Januar 2024: Auch danach, nach wie vor, geben die USA am meisten Geld für das Militär aus. Im Jahr 2022 lagen die Ausgaben für die US-Armee bei offiziell rund 877 Milliarden US-Dollar – 39 Prozent aller Rüstungsausgaben weltweit. Gemessen an den Anteilen des Bruttoinlandsprodukts investiert jedoch die Ukraine am meisten in das Militär.

Aber das reicht den Regierenden nicht. Es muss nun noch mehr Geld in die eh schon bestehende Überrüstung fließen – und eine sozialdemokratische Politikerin ruft nach Atomwaffen!

Dienende Führungsrolle

Das muss so sein, heißt es nun, auch wegen Donald Trump. Wenn dieser ungehobelte Mensch an die Macht kommt, dann will er ja nicht mehr unbedingt garantieren, dass sein Land alle Nato-Staaten im Konfliktfall unterstützt. Moment mal, er will jene Länder nicht unterstützen, die die maßlosen Vorgaben der Nato-Aufrüstung nicht erfüllen, im Klartext: Trump will mehr Waffen, noch mehr Kriegsgerät. Genau wie der Sozialdemokrat und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Und dass sich die USA unter Trump auf ihren Kontinent zurückzögen, vielleicht sogar die Nato verlassen würden – wie nun die Aufrüstungsbefürworter hierzulande strategisch behaupten. Europa müsse deswegen mächtig aufrüsten – koste es, was es wolle. Behauptungen ohne Bezug zur Realität.

Die USA machen knapp fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, dieses Land verbraucht wegen seines unvernünftigen Lebensstils aber rund 40 Prozent der Ressourcen dieser Welt – und damit dies so auf unabsehbare Zeit so bleibt, dazu braucht man Flugzeugträger auf allen Meeren dieser Welt, Hunderte von Militärstützpunkte rund um diese Welt, dafür braucht man treue Vasallen, willfährige Helfer. Wie etwa in Deutschland diese Friedenspartei a.D. – die Grünen. Wie es Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seinem Besuch in Washington vor ziemlich genau zwei Jahren so treuherzig formuliert hat, diese „Bereitschaft, eine dienende Führungsrolle auszuüben“. Da lacht man im Kapitol noch heute – über diesen eilfertigen Servanten.

Wieder ein Verteidigungskrieg, und er wird gerecht sein – wie immer

Wie gesagt, es tobt gerade ein Kampf um die Herzen und Köpfe. Was mich so pessimistisch macht ist unter anderem auch dies: das ehedem eher etwas linksliberal, eher etwas antimilitaristisch, eher etwas friedensfreundlich tickende Feuilleton, also der kulturelle Überbau, hat sich in den vergangenen Jahren – nicht erst seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine –  gewandelt: Auch dort ist nun das Rufen nach mehr Waffen en vogue, ist selbstverständlich geworden. So war es auch vor dem Ersten Weltkrieg.

„Kriegsfähig“, „kriegstauglich“, „Kriegswirtschaft“ – die Worte sind schon da. Vor den Taten kommen immer die Worte. Das Feindbild ist auch schon da, wieder einmal, wie praktisch. Und der nächste Krieg wird wieder ein Verteidigungskrieg, und er wird gerecht sein – wie immer. Und die Kirchen werden auf beiden Seiten die Kanonen segnen, so wie die ukrainische Kirche es heute tut, so wie es die russische Kirche heute tut. Und viele Menschen werden verrecken. Und Anton Hofreiter, der Kriegsdienstverweigerer a. D., wird dann sagen, wenn er es noch kann und nicht unter Trümmern liegt: „Das habe ich nicht gewollt“.