Dienstag, 7. Mai 2024, 19 Uhr, Glockenkelter Stetten. Lesung Charlotte Wiedemann: „Den Schmerz der Anderen begreifen“


In ihrem 2022 erschienenen Buch „Den Schmerz der anderen begreifen“ befasst sich Charlotte Wiedemann mit dem schwierigen Thema der Erinnerungskultur. Die deutsche Debatte ist sehr stark von dem von Deutschen begangenen Menschheitsverbrechen der „Shoah“, der Vernichtung der europäischen Juden, bestimmt.

Andere Verbrechen und Ungerechtigkeiten treten oft in den Hintergrund oder bleiben blinde Flecken, zum Beispiel die Verbrechen der deutschen Kolonialmacht. Oder die unterschiedliche „Behandlung“ von nationalsozialistischen Opfern. Welche stehen uns nahe? Welche wurden lange übersehen, wie die dem Hungertod preisgegebenen sowjetischen Kriegsgefangenen, obwohl sie die zweitgrößte Opfergruppe sind? Und warum ähneln Roma, deren Vernichtung als vermeintliche Rasse sie in der NS-Ideologie dem Judenmord am nächsten rückte, in unserer Wahrnehmung eher kolonial-afrikanischen Opfern: entfernt, fremd, nicht sprechfähig?

Wie wird der millionenfachen Vernichtung der Leningrader Bevölkerung durch die Hungerblockade der Wehrmacht gedacht? Oder der Vertreibung des palästinensischen Volkes als Resultat der Gründung eines jüdischen Staates nach dem 2. Weltkrieg? Zur aktuellen Situation in Israel kann Frau Wiedemann ebenfalls berichten, da sie kurz vor der Lesung von einer Reise nach Jerusalem und Ramallah zurückkehrt.

Zur aktuellen Situation in Israel kann Frau Wiedemann ebenfalls berichten, da sie kurz vor der Lesung von einer Reise nach Jerusalem und Ramallah zurückkehrt. In einem Kommentar für die TAZ vom 18.4.2024 schreibt sie zu der Situation im Nahen Osten: „Die Glocke von Gaza, eine Totenglocke für so viele Menschen, läutet unter dem schwarzen Schleier der Trauer auch einen Neubeginn ein: Nichts kann so bleiben, wie es ist, wie es war. Das gilt für Israel, für die Besatzung, für die sklerotische Autonomiebehörde, aber es gilt ebenfalls für Deutschland, für ein Verständnis von Staatsräson, das unserem Land, unserem internationalen Ansehen und unseren gesellschaftlichen Möglichkeiten beträchtlichen Schaden zufügt. Die interessanteste Initiative für eine binationale Lösung basiert auf der Anerkennung, dass beide Völker ein Heimatgefühl „from the river to the sea“ haben. Es ist an der Zeit, dies klar auszusprechen und es zu ändern – nicht zuletzt, damit Deutschland bei der Bewältigung der israelisch-palästinensischen Katastrophe ein konstruktiver, fairer Partner sein kann.
‘Was ist geschehen? Deutschland ist auf die abschüssige Bahn eines falsch verstandenen Exzeptionalismus geraten: Indem die Verantwortung für den Holocaust und die daraus folgenden außergewöhnlichen Verpflichtungen verengt wurden auf ein Bekenntnis zur israelischen Staatsverfasstheit und Politik. Und indem wir anderen vorschreiben, wie sie zu Israel zu denken haben, wenn sie deutschen Boden betreten.“

„Den Schmerz der Anderen begreifen“ plädiert nachdrücklich dafür, die Verantwortung für die NS-Verbrechen im Zentrum zu halten, aber auf Grundlage eines veränderten Weltverständnisses, orientiert an Respekt und Teilhabe.
Charlotte Wiedemann, Jahrgang 1954, ist Journalistin und Sachbuchautorin. Sie arbeitete jahrzehntelang für Zeitungen und Zeitschriften wie Geo, ZEIT, NZZ, taz, Le Monde Diplomatique. Sie lebte und recherchierte in über 30 Ländern dieser Welt und veröffentlichte zahlreiche Sachbücher.
Eine gemeinsame Veranstaltung der Allmende Stetten, der David-Pfeffer-Geschichtswerkstatt und der AnStifter Stuttgart.
Eintritt: 6 Euro. Jugendliche/Studierende frei

Hinweis: Bereits am Montag, 6. Mai 2024 liest Charlotte Wiedemann um 19 Uhr im Hospitalhof in Stuttgart aus ihrem Buch. Siehe dazu auch www.die-anstifer.de

Buchumschlag “Den Schmerz der anderen begreifen, Foto Propyläen Verlag
Charlotte Wiedemann, Foto Anette Daugard